Interview mit Prof. Dr. Marco A. Gardini Unterschätzte Risiken, drohendes Preisdumping und die Dominanz der Systemmarken

Das Coronavirus zeige in aller Deutlichkeit, worum es in einem kapitalistisch ausgerichteten Wettbewerbssystem geht: dem „Survival of the Fittest“. Im Tophotel-Interview erklärt Dr. Marco A. Gardini, Professor für Internationales Hospitality Management und Marketing an der Hochschule Kempten, warum das Gastgewerbe besonders hart getroffen wird, mit welchen Mitteln kommende Krisen anzugehen sind und wer zu den Krisen-Gewinnern zählen wird.

Herr Prof. Dr. Gardini, der Dehoga meldet, dass ohne staatliche Hilfen mehr als 70.000 gastgewerbliche Betriebe vor dem Ruin stünden. Warum trifft die Krise die Hotellerie- und Gastronomie-Branche besonders hart?
Prof. Dr. Marco A. Gardini: Hier gibt es sicher nicht den einen, sondern mehrere mögliche Einflussfaktoren. Man muss natürlich konstatieren, dass die Branche mehr oder weniger im vollen Lauf von den Beinen geholt worden ist. Einen solchen "Schwarzen Schwan" wie den Coronavirus und den darauffolgenden Eingriff in die wirtschaftliche Autonomie zu verkraften, ist natürlich erst einmal ein Schock, zumal man hier auf keinerlei unternehmerische Erfahrungswerte zurückgreifen kann. Darüber hinaus ist das Gastgewerbe strukturell eine extrem kleinständische, ja nicht einmal mittelständische Branche. Legt man an unsere Branche die Größenklassifikationen des Handelsrechts für Kapitalgesellschaften an, so stellt man fest, dass knapp 95 Prozent aller Hotelunternehmen in Deutschland am Umsatz gemessen zu den kleinen Gesellschaften gehören. Und hier sprechen wir vom Beherbergungsbereich, in der Gastronomie sieht das dann noch einmal kleinteiliger aus.  
Eine geringe Unternehmensgröße ist aber per se nicht problematisch...
... sie wird es nur, wenn die Kapital- und Ressourcenstruktur des betreffenden Unternehmens ausschließlich auf Schönwetterbedingungen und nicht auf Krisenzeiten vorbereitet ist. Hier drängt sich bei aller Dramatik der Situation für unsere Branche zunehmend die Frage auf, wie es sein kann, dass eine Branche, die zehn Jahre lang gutes Geld verdient hat, offenbar nun innerhalb von ein bis zwei Monaten in die Knie geht. Neben der guten Konjunkturlage hat sicherlich auch das billige Geld in den letzten zehn Jahren dazu geführt, dass Projekte und Investitionen durchgezogen wurden, die in früheren Zeiten anders gerechnet worden wären.
Welche Maßnahmen müssen getroffen werden, um langfristig besser auf Krisen vorbereitet zu sein, gerade in betriebswirtschaftlicher Hinsicht?
Auch wenn man sich auf einen „Schwarzen Schwan“ nicht wirklich vorbereiten kann, so kann doch aus ihm gelernt werden. Denn der „Schwarze Schwan“ zeigt Schwächen und Unzulänglichkeiten von Systemen und Organisationen auf. Er zeigt, dass bestimmte Risiken bisher unterschätzt wurden, wenn sie denn überhaupt beachtet wurden. Beklagt man nun die aktuell drohenden Insolvenzen im Gastgewerbe oder allgemein das Wirtshaussterben oder die hohe Flop-Rate gastgewerblicher Konzepte, sollte die Lehre für die Branche zukünftig sein, sich fundierter, systematischer und strategischer mit langfristigen Einflüssen und Veränderungen der externen und internen Unternehmensumwelt auseinanderzusetzen. Die Krisen-Resilienz ist offenbar derzeit in weiten Teilen unserer Branche nicht sonderlich ausgeprägt, ein Risikomanagement im klassisch betriebswirtschaftlichen Sinn nur selten institutionalisiert.

„Survival of the Fittest“ - bzw. soziale Marktwirtschaft

Welche Betriebe werden gestärkt aus der Krise hervorgehen?
Ob wir das wollen oder nicht: Das Coronavirus zeigt uns in aller Deutlichkeit, worum es in einem kapitalistisch ausgerichteten Wettbewerbssystem geht, nämlich dem „Survival of the Fittest“, auch wenn das bei uns soziale Marktwirtschaft heißt. Insofern werden auch jene Unternehmen von Hoteliers, Gastronomen und Betreibern die Krise überstehen, die in der Vergangenheit betriebswirtschaftlich solide geführt worden sind, d.h. die über entsprechende Cash- und Liquiditätsreserven verfügen, die ein klar profiliertes und differenzierungsfähiges Produktkonzept in ihrem Marktsegment aufweisen und denen es gelingt, ihre Stakeholder (Kunden, Mitarbeiter, Investoren, Partner) durch ein überzeugendes Beziehungsmanagement weiter hinter sich zu versammeln. Es ist dabei davon auszugehen, dass die Krise den Verdrängungswettbewerb zwischen Individual- und Kettenhotellerie weiter beschleunigt und die drohenden Insolvenzen eher zu Lasten der Individualbetriebe gehen werden, sodass an vielen - insbesondere städtischen - Standorten die Dominanz der Systemmarken weiter zunehmen wird.
Was wünschen Sie der Hotellerie für den bevorstehenden Re-Start?
Dass die Betriebe - wie so oft in der Vergangenheit geschehen - nicht in den Fehler verfallen, mit Preissenkungen und Dumpingpreisen durch die Krise zu kommen, sondern vermehrt über die Qualität und Nachhaltigkeit ihrer Leistungen in die Zukunftsfähigkeit ihrer Betriebe investieren. Thomas Willms hat es unlängst in ihrer Zeitschrift gesagt: „Noch nie war es trotz aller kurzfristigen Herausforderungen so wichtig, mittel- bis langfristig zu denken“. Für mich heißt das, dass diejenigen Betriebe gestärkt aus der Krise hervorgehen werden, denen es gelingt, ihre Zeit und Ressourcen sinnvoll zu nutzen, um sich bestmöglich für die Zeit nach der Krise aufzustellen. Ein ungeschminkter Blick auf den eigenen Betrieb ermöglicht es, jetzt Strukturen, Prozesse, Leistungen, Fähigkeiten auf den Prüfstand stellen und Fehler der Vergangenheit zu korrigieren.
Als internes Forschungsprojekt wird sich das Bayerische Zentrum für Tourismus für zunächst ein Jahr mit den „Auswirkungen externer Schocks auf die Tourismuswirtschaft in Bayern – das Beispiel Corona-Virus“ beschäftigen. Haben Sie hierzu schon erste Erkenntnisse gewinnen können?
Zum jetzigen Zeitpunkt können wir dazu leider noch nichts sagen, da das Projekt erst in diesem Monat begonnen hat. Im Augenblick befinden wir uns in einer Situation in der niemand seriös vorhersagen kann, welche wirtschaftlichen Folgen ein externer Schock wie das Coronavirus, in welcher zeitlichen Abfolge, in welchen Wirtschaftsbereichen tatsächlich auslöst. Ziel des Projektes ist es eine Datenbank zu schaffen, die zunächst retrospektiv eine regional differenzierte Analyse der Corona-Krise erlaubt und verschiedene Entwicklungsszenarien berücksichtigt, um so die Vulnerabilität der Tourismuswirtschaft besser einschätzen zu können. In der Zusammenschau der Effekte liegt der Ausgangspunkt für die Ableitung von Handlungsempfehlungen für die bayerische Tourismuswirtschaft. Hier ist auch eine Zusammenarbeit mit weiteren, in Kürze startenden Corona-Projekten vorgesehen, um zum einen eine Doppelforschung zu vermeiden und zum anderen den Informationsaustausch zu unterstützen, damit auch für die Praxis wertvolle Erkenntnisse generiert werden.
Interview: Mathias Hansen
Hinweis: Das gesamte, exklusive Interview mit Prof. Dr. Marco A. Gardini lesen Sie in der Juni-Ausgabe von Tophotel.


Zur Person

Prof. Dr. Marco A. Gardini ist Prodekan der Fakultät Tourismus an der Hochschule Kempten und Professor für Internationales Hospitality Management und Marketing.  Er ist stellvertretender Institutsleiter des Bayerischen Zentrums für Tourismus und engagiert sich in verschiedenen Beiräten diverser privater Unternehmen und öffentlicher Institutionen. Er verfügt über langjährige Verbands-, Industrie- und Beratungserfahrung und ist seit vielen Jahren für namhafte Industrie- und Dienstleistungsunternehmen als Berater, Trainer, Coach und Referent tätig.
In der Gastronomie aufgewachsen, sind seine Schwerpunkte in Forschung, Lehre und Beratung, Themen aus dem Bereich Marketing/Vertrieb, Strategie und Organisation. Prof. Dr. Marco A. Gardini ist Autor und Herausgeber verschiedener Standardwerke in Tourismus und Hotellerie sowie Autor zahlreicher Veröffentlichungen in wissenschaftlichen Journalen, Fachzeitschriften und Praktiker-Magazinen.